Autor:

Ingrid Böhler

Der 'Anschluss' - Die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 11./12. März 1938

Die NS-Gauleitung Vorarlbergs hatte sich bereits eine Woche in Alarmbereitschaft befunden und beinahe fortlaufend in ihrem „Stammlokal", dem „Weißen Kreuz" getagt, als sie die Nachricht über die Vorgänge des 11. März in Wien erreichte. Von dem Gasthaus aus brach der wieder als Gauleiter wirkende Plankensteiner mit seinen Mitstreitern um 21.30 Uhr nach Bregenz auf, um Landeshauptmann Ernst Winsauer seines Amtes zu entheben. Eine Vorhut aus SS und SA hatte zu diesem Zeitpunkt bereits wichtige Gebäude besetzt. Um Mitternacht erfolgte über das Radio die Bekanntgabe des neuen Landesoberhauptes Toni Plankensteiner, als neuer Sicherheitsdirektor für Vorarlberg wurde den HörerInnen Alfons Mäser präsentiert.

Während ein Teil der Dornbirner BürgerInnen in der Nacht des „Umsturzes" in den Häusern blieb und sorgenvoll in die Zukunft blickte, triumphierte ein anderer Teil umso lauter in den Straßen: Ein Fackelumzug war rasch organisiert, noch beim Hatler Brunnen vernahm man die „Sieg-Heil-Rufe" vom Marktplatz, auf dem niemand an eine Sperrstunde dachte.

In dieser Phase der glanzvoll inszenierten Wende offenbarten die neuen Machthaber aber ebenso deutlich, dass ihre Kritiker gefährlich lebten. Obwohl die Gendarmeriepostenkommandos im Stadtzentrum bzw. im Hatlerdorf nur vom prächtigen, fahnengeschmückten Stadtbild, freudig erregten Menschenmengen, [...] die ihre schon längst unterdrückte Weltanschauung einmal frei zeigen konnten, von festlichster Stimmung und stürmische[m], nicht mehr enden wollende[m] Jubel berichteten und von tadelloser Ordnung schwärmten – nicht ein einziger, auch nicht geringster Übergriff von SA und SS sei vorgekommen, die Nationalsozialisten hätten sich überhaupt gegen Andersdenkende sehr nobel benommen –, erfolgten bereits in den Stunden des „Umbruchs" vom 11. auf den 12. März auch in Dornbirn erste antisemitische Aktionen bzw. Abrechnungen mit den Gegnern aus ständestaatlicher Zeit. Hatler Nazis riefen vor dem Haus in der Lustenauerstraße 3, das die Turteltaubs, die einzige jüdische Familie Dornbirns, bewohnte: Henkt die Schwarzen, henkt die Juden. Ein feiernder Mob jagte Toni Winkler, den ehemaligen Landesobmann der Katholischen Jugend, über den Marktplatz, verhöhnte und bespuckte ihn.

Auch in alltäglichen zwischenmenschlichen Begegnungen trat die bedrohliche, feindselige Dimension des veränderten Machtgefüges zu Tage: Als August Weiß, Jahrgang 1921, am Tag des „Anschlusses" das „Heil Hitler" einer etwa gleichaltrigen Bekannten nicht entsprechend erwiderte, bekam er ein Kasiner, Drecksau, Kogenwar [Gesindel], sollte man nach Dachau schicken! zu hören. In der Fabrik trug sein Abteilungsleiter, er ist vorher immer bei den Schwarzen gewesen, an diesem Tag eine Hakenkreuzbinde. Solche über Nacht stattgefundenen Mutationen, ob nun von Anbiederung oder bisher verheimlichter Überzeugung getragen, schürten Misstrauen und Angst nicht nur gegenüber den RepräsentantInnen des Nationalsozialismus, sondern ebenso unter den MitbürgerInnen.

Marktplatz 1938 (Copyright StAD - NS-Foto Heim)

Literatur:

Ingrid Böhler: Dornbirn 1914-1945. In: Werner Matt, Hanno Platzgummer (Hrsg.): Geschichte der Stadt Dornbirn, Band 2, 2002, S. 165.

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