Autor:

Ingrid Böhler

Die Volksabstimmung am 10. April 1938 über den „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich

Am 10. April 1938, knapp einen Monat nach dem „Anschluss" Österreichs an das Dritte Reich, fand jene Abstimmung statt, bei der 98,57 % der Stimmberechtigten Dornbirns die Frage Bist Du mit der am 13. März 1938 vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich einverstanden und stimmst Du für die Liste unseres Führers Adolf Hitler? mit „Ja" beantworteten (144 Personen stimmten mit Nein, 22 wählten ungültig, 14 enthielten sich). Wie erklärt sich nun dieses Votum und all die weiteren ähnlich überwältigenden Ergebnisse angesichts der wohl begründeten Annahme, dass bei einem Zustandekommen der Schuschnigg-Abstimmung ein Großteil dieser Wählerinnen und Wähler für ein unabhängiges Österreich optiert hätte?

Bis zum 10. April wurde nun die Bevölkerung zuerst mit Siegesfeiern, die nahtlos in den Werbefeldzug für die „Anschluss"-Abstimmung übergingen, in Atem gehalten: Am Abend des 15. März zogen nach den Angaben der Gendarmerie 10.000 Personen zur Gaukundgebung auf dem Marktplatz, der nun für sieben Jahre Adolf-Hitler-Platz heißen sollte. SA-Einheiten, Turnvereine, HJ und BDM beteiligten sich ebenso am Defilee wie eine Abteilung deutscher Schutzpolizei. Letztere befand sich im Gefolge der Wehrmacht – welche 900 Mann Infanterie am selben Tag in der Stadt stationiert hatte – im Lande. Der neue (tags zuvor von der Landeshauptmannschaft kommissarisch eingesetzte) Bürgermeister Dr. Paul Waibel, Landeshauptmann Plankensteiner und ein General der Schutzpolizei hielten Ansprachen, den Abschluss bildete das gemeinsame Singen des Deutschlandliedes. Als Propaganda-Veranstaltung verlief auch am 23. März Abends die Abreise von 140 „Auserwählten", die in den Genuss einer KdF-Reise nach Düsseldorf gelangt waren. Landesrat Hämmerle verabschiedete sie mit Vizebürgermeister Sepp Dreher auf dem Adolf-Hitler-Platz, bevor zu den Klängen der Haselstauder Musikkapelle geschlossen der Aufbruch zum Bahnhof erfolgte. Ein ähnliches Zeremoniell ereignete sich bei der Rückkehr, zu der sich eine 3.000-köpfige Menschenmenge am Bahnhof einfand. Ebenso viele besuchten die erste Wahlkundgebung, die am 27. d.M. in der Markthalle über die Bühne ging und zu der u.a. ein Redner aus dem „Altreich" aufgeboten wurde. Demselben Zweck diente vier Tage später eine ähnlich ablaufende Abendveranstaltung vor der Stadtpfarrkirche – parallel fanden in den übrigen Vierteln weitere Versammlungen statt –, dieses Mal mit einer Ansprache eines Reichstagsabgeordneten aus München. Wenige Stunden vorher waren selben Orts bereits 3.000 bis 3.500 Bauern aus allen Teilen des Landes auf den neuen Staat eingestimmt worden. Am 3. April Vormittags – während der Betriebszeit – war die Reihe an der Dornbirner ArbeiterInnenschaft, die sich 4.000 Personen stark, angeführt von ihren Vorgesetzten auf dem Realschulplatz versammelt hatte, um über die Vorzüge des „Anschlusses" belehrt zu werden.

Der programmierte Höhepunkt der „Propagandaschlacht" fand schließlich zwei Tage vor dem 10. April im Birkenwiese-Stadion statt. Hohe Funktionsträger, darunter Josef Bürckel, der von Hitler unmittelbar nach dem „Anschluss" nach Wien berufene oberste Organisator der österreichischen NSDAP und der Volksabstimmung, sowie 25.000 TeilnehmerInnen waren dafür mobilisiert worden. Wem es in diesen Tagen gelang, solchen Veranstaltungen fernzubleiben, bekam aber zumindest die in höchsten Auflagen hergestellten Plakate und Flugzettel zu Gesicht.

Während in dieser Phase des NS-Terrors die Abrechnung mit den „Gesinnungsfeinden", nicht die Verfolgung und Vernichtung von aus rassistischen Motiven Ausgegrenzten, Behinderten usw. im Vordergrund stand, gab es trotzdem bereits ein erstes Todesopfer. Selma Mitterdorf, 1887 in Hannover geboren, evangelisch und seit Ende 1918 als Säuglings-Fürsorgeschwester in Dornbirn, erhängte sich am 21. März 1938. Der Gendarmerieposten vermerkte, dass die Selbstmörderin eine Jüdin [war] und fürchtete im neuen Staat als Jüdin erkannt zu werden.

In diesem widersprüchlichen Klima zwischen Propaganda, Terror und Opportunismus war die Bevölkerung am 10. April schließlich aufgerufen, über die Wiedervereinigung mit dem deutschen Reich abzustimmen. Aber nicht nur, weil die Rückgängigmachung der bereits vollzogenen Tatsache völlig unrealistisch erschien, herrschte der Eindruck vor, dass es sich um keine echte Volksabstimmung handelte. Der als Mitglied beim katholischen Gesellenverein bekannte Reinhard Krupitzka etwa berichtete von der ihm zugegangenen Warnung eines Deutschen, dass die Wahlkuverts inwendig nummeriert wären. Solche meist bewusst lancierten Gerüchte, auch die vor den Wahllokalen postierte SA bzw. SS und dergleichen mehr sorgten für jenen Druck, der einen weiteren Beitrag zum indes ohne direkte Manipulation zustande gekommenen Ergebnis leistete.

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Litartur:

Ingrid Böhler: Dornbirn 1914-1945. In: Werner Matt, Hanno Platzgummer (Hrsg.): Geschichte der Stadt Dornbirn, Band 2, 2002, S. 165.

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