Autor:

Ingrid Böhler

Ernährungskrise im Ersten Weltkrieg

Von den vielen Lasten, welche die Kriegszeit der Dornbirner Bevölkerung auferlegte, gehörte die Lebensmittelnot, die in den Jahren 1918 bis 1920 ihr schlimmstes Ausmaß annahm, zweifellos zu den bedrückendsten und bedrohlichsten Erfahrungen. Sich mit dem Allernotwendigsten zu versorgen, geriet zu einem Existenzkampf, der tagtäglich aufs Neue geführt werden musste, ungeheuer kräfte- und zeitraubende Ausmaße annahm und einen stetig zunehmenden Teil der Bevölkerung in Verarmung führte.

Die Agrarproduktion im eigenen Land erhielt durch den Rückgang der Zuschübe für die Versorgung der Bevölkerung einen immer wichtigeren Stellenwert. Um das Wenige für alle nutzbar zu machen, griffen die Behörden über Ablieferungsvorschriften, Zwangsrequirierungen von Vieh oder Arbeitstieren zu vorgeschriebenen Höchstpreisen und über restriktive Kontrollmöglichkeiten zusehends in den bäuerlichen Produktionsbereich ein. Vor allem die aus der Sicht der Bäuerinnen und Bauern zu niedrigen Abgabepreise führten nach Kriegsende sogar soweit, dass in der „Viehstadt“ Dornbirn zum Teil über Wochen kein Fleisch ausgegeben werden konnte und zeitweilig keine oder nur 1/10 l Milch pro Tag. Mit den Worten Es war einem nie so klar, wie in jenen Zeiten, dass der Bauernstand der erste Stand sei, fasste eine Zeitgenossin diese Besserstellung zusammen.

Zu den größten Versorgungsengpässen kam es immer in der Zeit vor der neuen Ernte; dann nämlich, wenn die KleinanbauerInnen ihre Vorräte aufgebraucht hatten und auf die stetig sinkende staatliche Belieferung mit den sowohl günstigen als auch nährreichen Mahlprodukten oder auch Kartoffeln angewiesen waren. Im Juni 1918, als die Brotkarte um 50 % gekürzt werden musste,[1] erreichte die Krise einen ersten Höhepunkt, der erst nach dem militärischen Zusammenbruch, als die Getreideversorgung aus der Schweiz einsetzte, überwunden wurde.

Die katastrophale Situation im Frühsommer 1918 veranlasste den Dornbirner Ortsschulrat zur vorzeitigen Beendigung des Schuljahres:

Die Not an Lebensmitteln zwingt zu dieser Maßnahme; die Kinder müssen am Morgen wegen Mangels an Brot und Mehl hungrig in die Schule gehen, infolge dessen ist für den Unterricht kein Interesse vorhanden, sie sitzen teilnahmslos und gähnen. Wenn man sie länger schlafen lassen könnte, würden sie den Mangel an Lebensmitteln leichter überstehen

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Anstellen im Ersten Weltkrieg - Foto: Siegel-Gamper

Werner Bundschuh: Das Dornbirner Arbeiterheim – ein sozialdemokratischer Dorn im „bürgerlichen Fleisch“. In: Dornbirner Schriften, Heft 22 (1996), S. 59-132. 4. Ernährungskrise im WK 1 Anstellen um Brot bei Bäckerei Spiegel, Marktplatz 4 Orig. Martin Bargehr/Reproduktion Stadtarchiv Dornbirn, Sign. 28756

Literatur:

Ingrid Böhler: Dornbirn 1914-1945. In: Werner Matt, Hanno Platzgummer (Hrsg.): Geschichte der Stadt Dornbirn, Band 2, 2002, S. 165.