Autor:

Walter Weinzierl

Das alte Mütterlein auf der Spinnstubet

Als in Dornbirn noch an den langen Winterabenden die Nachbarn in den „Spinnstubeten“ zusammenkamen – das Weibervolk mit Kunkel und „Rädle“, die Mannsleute mit der unvermeidlichen Tabakpfeife – erschien auf einer solchen Stubet allabendlich ein altes Mütterlein und setzte sich mit seinem Spinnrade in die hinterste Ecke, wo es dann bis zum allgemeinen, oft erst sehr späten Aufbruche spann. Das Weiblein mischte sich nie ins Gespräch, mochte noch soviel erzählt, gelacht und gescherzt werden. Eigentlich war das seltsame Wesen jedermann unbekannt, doch ließ man es unbefragt kommen und gehen.

Unter den Mannsleuten befand sich ein junger Bursche, der Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hatte. Während seine Altersgenossen sich mit den jugendlichen Dirnen unterhielten, schenkte er seine Aufmerksamkeit der alten Frau. Wie kam es doch, dass er stets in ihren Winkel schauen musste? Vielleicht zog ihn der unerklärbar milde und doch schmerzliche Ausdruck ihres Gesichtes an, vielleicht ihr stilles Wesen, ihre scheue Zurückgezogenheit. Er hätte lachen mögen, dass er so dumm war, und gleich darauf, wenn er wieder einen Blick in den Winkel geworfen, stand ihm das Weinen näher.

So ging es drei Jahre lang. Wieder war alles des Abends in der Spinnstubet beisammen, und der Bursche schaute still und sinnend der alten schweigsamen Spinnerin zu. Plötzlich bemerkte er, dass sie das Spinnrad verkehrt drehe. Da setzte er sich neben sie, schaute noch eine Zeitlang zu und sagte dann zu ihr: „Immer links um, Mütterle?“ Nun fuhr ein heller Strahl über das Leidensgesicht der Alten. Sie stand rasch auf und bedeutete dem Burschen mit freundlicher Miene, sie zu begleiten. Schweigend wanderten die beiden in die stille Nacht hinaus. Das Mütterlein schritt voran über Acker und Wiese, bis sie zu einem einzeln stehenden Gebüsche kamen. Hier sprach es: „So entsetzlich viele Jahre habe ich gesponnen und stets links um, und erst du hast es endlich zu meinem Glücke bemerkt. Dafür soll dir reichlicher Lohn werden! Grabe morgen an dieser Stelle! Was du findest, betrachte getrost als dein Eigenthum!“ Nach diesen Worten war sie verschwunden. Der gute Bursche aber hob am nächsten Morgen einen Hafen voller Thaler aus der Erde. Der Schatz brachte ihm Glück, denn er starb im hohen Alter als des Dorfes reichster Bauer.

Die alte Spinnerin war auch einmal jung gewesen und wird gar manche Stubet besucht haben, auf der es nicht sehr „sauber“ hergegangen; ich meine, die Sache könnte von daher kommen.

Quelle:

Sagen aus Dornbirn gesammelt v. Walter Weinzierl

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