Autor:
Walter Weinzierl
Die Alte aus der Kehlen
Merkwürdig ist es, wie Sterbende ihren Tod „künden“. Zu einer zahlreichen Familie in Dornbirn kam fleißig jede Woche ein altes krummes Weib, das dann die Wäsche und Kleider der Kinder zur Ausbesserung erhielt. Einmal blieb die arme Frau vier Wochen aus, denn sie war krank. Nach dieser Zeit, als eben die Mutter und ein Söhnlein an einem schönen Sommertage im Zimmer saßen, hörten sie dieselbe langsam die Stiege heraufkommen. Sie war am Gange leicht zu erkennen, da sie hinkte; in der ganzen Gemeinde konnte nur sie so die Stiege auf- und abgehen. Sie klopfte an, kam aber nicht herein, sondern gieng langsam wieder die Treppe hinab. Die Mutter, die schon früher bemerkt hatte: „Hörst du, die Alte aus der Kehlen kommt wieder!“ schickte den Knaben hinaus, sie zurückzurufen; mochte dieselbe ja, da sie schlecht hörte, das „Herein“ nicht vernommen und gedacht haben, es sei niemand zu Hause. Aber weder auf der Stiege noch im Vorhause noch außer dem Hause war jemand zu finden. Als am nächsten Morgen die Todtenglocke geläutet wurde, galt es der Alten aus der Kehlen.
Quelle:
Sagen aus Dornbirn
Gesammelt v. Walter Weinzierl